Tierreport – Offizielles Organ des Schweizer Tierschutz STS
Tierreport – Offizielles Organ des schweizer Tierschutz STS

Tödliche Multiresistenz

Tödliche Multiresistenz (©fotolia)

Tödliche Multiresistenz (©fotolia)

Tödliche Multiresistenz (© fotolia) Ärzte und Agrarexperten sind alarmiert: Immer mehr treten Multiresistenzen auf, gegen die bewährte Antibiotika wirkungslos sind. Doch statt blindem Aktionismus ist nun ein grundsätzliches Umdenken in der Landwirtschaft gefordert.

Dr. sc. nat. Hansuli Huber, STS-Geschäftsführer Fachbereich Beratungsstelle für artgerechte Nutztierhaltung

Eine Frau wird mit einer schweren Lungenentzündung ins Spital eingeliefert. Doch auf keines der herkömmlichen Antibiotikamedikamente spricht die Patientin an. Der Zustand der Frau verschlechtert sich rasant, und sie muss zur weiteren Behandlung auf die Intensivstation gebracht werden.

Was wie nach einem mittelmässigen Science-Fiction-Roman tönt, ist in Schweizer Spitälern bereits bittere Realität: Immer mehr bilden sich antibiotikaresistente Keime, gegen die kein Medikament mehr hilft. Ärzte und weitere Fachleute haben deshalb schon längst Alarm geschlagen. Nun hat der Bundesrat reagiert und den Bericht «Strategie Antibiotikaresistenzen» (StAR) veröffentlicht. Resistente Antibiotikakeime sind hauptsächlich in Spitälern und Altenheimen ein Problem und werden nicht zuletzt durch den hohen Antibiotikaverbrauch in der Humanmedizin, aber auch den Tourismus und weltweiten Handel von Lebensmitteln generiert. Doch auch der in der Intensivtierhaltung teilweise extreme Antibiotikaeinsatz stellt ein hoch dringliches Problem dar. Insbesondere gilt es, den präventiven Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin einzudämmen.

Patentrezepte existieren nicht

Der STS nimmt den übermässigen Antibiotikaeinsatz in gewissen Nutztier-Produktionsformen und die damit zusammenhängenden Multiresistenzen ernst. Doch symbolische Kurzschlusshandlungen und vermeintliche Patentrezepte können die vorhandenen Probleme nicht lösen. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es verfrüht, ein Verbot präventiver Antibiotikagaben zu verhängen oder bestimmte Zielvorgaben (beispielsweise fünfzig Prozent Antibiotikareduktion innert fünf Jahren) zu nennen.

Es dreht sich also nicht um die Frage: «Antibiotikaeinsatz bei Tieren: ja oder nein?», sondern um einen verantwortungsvollen Einsatz von Medikamenten. Erkrankten Tieren Behandlung und Medikamente zu verweigern, ist unethisch und steht im Widerspruch zur Tierschutzgesetzgebung!

Tiergesundheit stärken

In erster Linie braucht es einen allgemeinen Konsens darüber, was gewünscht ist: Gesunde Tiere in überschaubaren, gut gehaltenen Beständen, Senkung des Antibiotikaverbrauchs und Eindämmung der Resistenzbildung – oder Massentierhaltung, verbunden mit Höchstleistungen zur Billigproduktion unter Missachtung von Tierwohl und Tiergesundheit?

Zwar fördert die heutige Agrarpolitik in geringem Ausmass Tierwohl und Tiergesundheit, andererseits bewirkt sie mit verschiedensten Vorschriften und Massnahmen die Verlagerung zu Massentierhaltung und Tierfabriken. Zusätzliche Richtlinien, Standards, Labels oder Tiergesundheitsbeiträge sind kaum nötig. Vielmehr müssen die bestehenden, brauchbaren Regelwerke (wie Landwirtschaftsgesetz, Tierschutzgesetz, Tierarzneimittelgesetz) zur Eindämmung des Antibiotikaverbrauchs und der Resistenzen konsequent angewendet sowie die zugrunde liegenden Probleme im Bereich Tierwohl und Tiergesundheit beseitigt werden.

Der STS plädiert dabei für eine konsequente Ausrichtung unserer Landwirtschaft hin zu einer naturnahen, vielfältigen bäuerlichen Tierhaltung statt der weltweit betriebenen intensiven Tierproduktion mit Massentierhaltung und Tierfabriken. Selbstverständlich gälten dieselben Anforderungen auch für Importe.

«Der STS wendet sich zum jetzigen Zeitpunkt sowohl gegen ein vorschnell ausgesprochenes Verbot präventiver Antibiotikagaben als auch gegen Zielvorgaben. Denn ohne die von ihm im Zehnpunkteprogramm dargelegten Anpassungen würden solche Vorgaben zur reinen Symbolpolitik verkommen, welche die Bevölkerung in falscher Sicherheit wiegen würde.»

Hansuli HuberDr. sc. nat. Hansuli Huber, STS-Geschäftsführer Fachbereich Beratungsstelle für artgerechte Nutztierhaltung

Zehnpunkteprogramm des STS zur Eindämmung des Antibiotikaeinsatzes

Wenn der Antibiotikaeinsatz wirkungsvoll und nachhaltig reduziert werden soll, so müssen die Schwachstellen der heutigen intensiven Tierproduktion klar genannt werden:

  1. Die Minimalvorschriften der Tierschutzverordnung entsprechen längst nicht einer artgemässen Tierhaltung. Es braucht deshalb strengere Regelungen, beispielsweise was Kälber, Rinder, Schweine und Milchkühe sowie Tiertransporte anbelangt.
  2. Offene Ställe inklusive Auslauf ins Freie müssen stärker gefördert werden, um die teilweise hohen Schadstoff- und Staubbelastungen zu reduzieren.
  3. Die Beiträge für die Tierwohlprogramme BTS und RAUS müssen angehoben werden, damit die Beteiligung möglichst flächendeckend stattfindet.
  4. Konsequente Umsetzung der Landwirtschaftsgesetzgebung in Bezug auf Höchstbestände, Tierzucht und Strukturförderungsmassnahmen zum Tierwohl.
  5. Der Tierhandel ist durch die zunehmende Spezialisierung extrem geworden. Kälber sollten ohne Zwischenhandel oder Viehmärkte in die Mastställe verbracht werden oder noch besser auf dem gleichen Betrieb bleiben.
  6. Je grösser die Tierbestände pro Betrieb sind, desto höher ist das Risiko von Multiresistenzen. Der Bund sollte deshalb bäuerliche Tierhaltungen in überschaubaren Grössen mit kurzen Tiertransporten und Kleinschlachtanlagen in Berggebieten fördern.
  7. Den Nutztieren werden immer höhere Leistungen abverlangt. Stattdessen sollte die Tierzuchtförderung des Bundes auf Langlebigkeit der Tiere abzielen. Beim Milchvieh und bei Hühnern sind Zweinutzungsrassen zu bevorzugen.
  8. Die fragwürdige sogenannte arbeitsteilige ­Ferkelproduktion (AFP) gehört verboten. ­Dabei werden Sauen und Ferkel über vier ­bis sechs Stationen verteilt. Kälber müssen artgemäss ernährt werden, um tiefe Hämo­globinwerte zu verhindern.
  9. Die Ausdehnung des Freihandels im Agrarbereich verursacht neue Gefahren durch den zunehmenden Tier- und Warenverkehr. Der schrankenlose Freihandel ist aus Gründen des Tierschutzes und der Tiergesundheit ­deshalb abzulehnen. Zudem braucht es eine lückenlose Überwachung der Importtiere ­und Fleischwaren.
  10. Die einheimischen Bauern brauchen faire Preise, um Produkte aus artgemässer Tier­haltung für die Konsumenten anbieten zu ­können. Importprodukte müssen Schweizer Tierschutzstandards erfüllen.

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