Tierreport – Offizielles Organ des Schweizer Tierschutz STS
Tierreport – Offizielles Organ des schweizer Tierschutz STS

Falsch verstandene Tierliebe

  • Unnötige Fütterung: Durch die grosse Ansammlung gibt es sozialen Stress und vermehrt Kämpfe unter den Tieren. (© Colourbox)

    Unnötige Fütterung: Durch die grosse Ansammlung gibt es sozialen Stress und vermehrt Kämpfe unter den Tieren. (© Colourbox)

  • Der besondere «Kick», den so manche Wintersportler bei Abfahrten abseits der Pisten empfinden, bedeutet eine grosse Belastung für die dort lebenden Tiere. (© ISTOCKPHOTO)

    Der besondere «Kick», den so manche Wintersportler bei Abfahrten abseits der Pisten empfinden, bedeutet eine grosse Belastung für die dort lebenden Tiere. (© ISTOCKPHOTO)

Unnötige Fütterung: Durch die grosse Ansammlung gibt es sozialen Stress und vermehrt Kämpfe unter den Tieren. (© Colourbox)Wildtiere sind grundsätzlich nicht auf menschliche Unterstützung angewiesen, um den Winter zu überstehen. Die Zufütterung kann sogar mehr Schaden anrichten, als dass sie den Tieren hilft.

Monika Zech

In der kalten Jahreszeit mummeln wir Menschen uns ein in dicke Jacken und Mäntel, drehen in den Wohnungen die Heizung auf – und essen meistens auch etwas mehr als in den Sommermonaten. Anders sieht es bei den Wildtieren aus. Sie sind nicht nur der Kälte ausgesetzt, die winterliche Vegetation bietet ihnen auch weniger Nahrung. Aber Tiere sind Überlebenskünstler. Während wir uns unzähliger Technologien behelfen, um unser gewohntes Leben durch alle Jahreszeiten führen zu können, verfügen die Tiere je nach Art über bestimmte Strategien, die ihnen durch den Winter helfen.

So machen beispielsweise manche Säugetiere wie Igel, Murmeltiere, Fledermäuse und Siebenschläfer einen mehrmonatigen Winterschlaf, währenddessen ihre Körpertemperatur nahezu auf die Aussentemperatur abfällt und Atmung und Herzschlag sich verlangsamen. Dadurch sparen die Tiere Energie und das im Sommer angefressene Fettdepot reicht zum Überleben.

Natürliche Selektion wird gestört

Auch die Eichhörnchen, Dachse und Braunbären setzen ihren Energiehaushalt auf Sparflamme, sie verziehen sich in die «Winterruhe». Das heisst, sie verbringen zwar ebenfalls die meiste Zeit schlafend oder vor sich hindämmernd in einem geschützten Winterquartier, auch verlangsamt sich ihr Herzschlag, aber ihre Körpertemperatur sinkt nur wenig ab. Zudem wachen sie hin und wieder auf. Ein Eichhörnchen zum Beispiel sucht zwischendurch immer wieder einmal seine im Sommer angelegten Futtervorräte auf. Die wechselwarmen Tiere wie Kröten, Frösche, Schnecken und Eidechsen sowie manche Insekten hingegen überdauern den Winter in der sogenannten Kältestarre. Damit ihre Körperflüssigkeiten nicht einfrieren, produzieren sie eine hohe Dosis Glucose, eine Art Frostschutzmittel.

Die Natur sorgt also mit raffinierten Methoden dafür, dass die Wildtiere die kalten Monate in ihren Rückzugsorten gut überstehen. Doch wie steht es um diejenigen Tiere, die den Winter draussen verbringen, die weder Höhlen noch Nester noch andere frostfreien Plätze aufsuchen? Zum Beispiel Rothirsche und Rehe?

In der Regel kommen auch diese Tiere mit den winterlichen Bedingungen zurecht – ausser kranke und schwache Tiere. Für sie kann der Winter tatsächlich tödlich sein. Dennoch raten Natur- und Tierschützer von einer Zufütterung der Wildtiere durch uns Menschen eher ab. Hauptsächlich, weil dadurch die natürliche Selektion, die eine Tierart gesund erhält, gestört wird. Ausserdem geraten die Wildtiere wegen der grossen Ansammlungen bei Futterstellen unter sozialen Stress und werden durch das Herankarren des Futters immer wieder in ihrer nötigen Ruhe gestört.

«Winterfütterung kann mehr Schaden anrichten, als dass sie den Tieren hilft», sagt Sara Wehrli, Zoologin und Leiterin der Fachstelle Wildtiere beim STS. Die Praxis in Deutschland und Österreich etwa, wo die Winterfütterung von Rot- und Rehwild sogar Vorschrift ist, bezeichnet Wehrli als «völligen Humbug». Und die Begründung, sie diene der Erhaltung des Wildes, stamme vor allem aus Jägerkreisen, «die so genügend Wild für die Jagd sicherstellen wollen». In der Schweiz sei man zum Glück von dieser Haltung abgekommen. «Hier ist die Winterfütterung von Hirschwild einzig in Notsituationen erlaubt und erfordert zudem eine kantonale Bewilligung.» Als Notsituation gelte beispielsweise, wenn sich die Hirsche in einer Gegend aufhalten, wo sie einem Lawinenschutzwald über einem Dorf akuten Schaden zufügen, oder wenn das Rotwild durch sehr hohe Schneelagen in seinem Wintereinstand praktisch eingeschlossen ist und selbst kein Futter mehr suchen kann.

Ein verhängnisvoller Kreislauf

Der besondere «Kick», den so manche Wintersportler bei Abfahrten abseits der Pisten empfinden, bedeutet eine grosse Belastung für die dort lebenden Tiere. (© ISTOCKPHOTO)«Grundsätzlich sind menschliche Eingriffe nicht nötig», sagt Wehrli. Denn ebenso wie andere Tierarten sei der Rot­hirsch im Winter im Energiesparmodus, will heissen: Er reduziert seinen Stoffwechsel, um mit weniger Nahrung auszukommen. Sein Magen verkleinert sich, er bewegt sich weniger, seine Herzschlagrate sinkt. «Wenn er jedoch regelmässig zugefüttert wird, beginnt sich der Organismus auf die unnatürliche Futtermenge einzustellen, das Tier verliert seine natürliche Überlebensstrategie und wird erst jetzt von menschlicher Hilfe abhängig.» Hinzu komme, dass er wegen der häufigen Störungen durch den Menschen immer wieder zur Flucht gezwungen werde, was wiederum seinen Energieverbrauch in die Höhe schnellen lasse. «Bis auf das Zehnfache», sagt Wehrli. Ein verhängnisvoller Kreislauf. Aus diesem Grund sind denn auch die gesetzlich festgeschriebenen Wildruhezonen, wo Wintersportaktivitäten nicht erlaubt sind, für das Wild überlebenswichtig (der STS hat zu diesem Thema ein Merkblatt verfasst: «Tierschutz bei Outdooraktivitäten»). Der besondere «Kick», den so manche Wintersportler bei Abfahrten abseits der Pisten empfinden, bedeutet eine grosse Belastung für die dort lebenden Tiere.

Neben den für uns wenig sichtbaren scheuen Wildtieren gibt es aber noch Tiere, die direkt vor unseren Häusern überwintern: die Singvögel. Ebenso Enten und Schwäne. Und für viele Menschen gehört das Füttern der Vögel so selbstverständlich zur Wintersaison wie Fondue und Raclette. «Eine massvolle Zufütterung der Singvögel kann man vertreten», sagt Sara Wehrli, «aber sie ist nicht per se notwendig.» Mit «massvoll» meint Wehrli: nur bei dicht geschlossener Schneedecke und lang anhaltendem Frost. Auf keinen Fall füttern sollte man hingegen die Wasservögel. «Durch die grossen Ansammlungen an den Fütterungsstellen gibt es sozialen Stress und vermehrt Kämpfe unter den Tieren, bei den Enten führt das längerfristig sogar zu einer Verschiebung des Geschlechterverhältnisses zugunsten der Erpel. Ausserdem erhöhen die Kotverschmutzungen an diesen Orten die Gefahr der Krankheitsübertragungen.»

Wer den Vögeln im Winter echte Hilfe zukommen lassen will, kann zwei Dinge tun: Erstens, sich über die richtige Fütterung informieren, etwa via STS-Merkblatt «Füttern von Vögeln im Winter». Zweitens, mit einem vielfältigen einheimischen Pflanzenangebot im Garten und auf dem Balkon dafür sorgen, dass die Vögel genügend natürliche Nahrung finden.  

Merkblätter zum Downloaden

winterfuetterung 03«Winterfütterung kann mehr Schaden anrichten,
als dass sie den Tieren hilft»

Sara Wehrli, Zoologin

Tags: Tierreport 4/15

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