Harter Kampf ums Überleben
Drohverhalten: Bei Gefahr stellt sich der Hamster auf, um grösser zu wirken. ©Manfred Sattler
Einst wurden die Feldhamster verfolgt und in Massen getötet, heute sind sie streng geschützt. Doch vielleicht kommt dieser Schutz zu spät.
Monika Zech
Das Tierchen hat alles, was bei Menschen einen Jöh-Effekt auslöst: eine leicht pummelige Figur, glänzendes Fell, dunkle runde Knopfaugen. Doch trotz seines putzigen Aussehens hat der Mensch dem Feldhamster so übel mitgespielt, dass er heute auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten steht.
Wie viele andere Tierarten wurde auch der Feldhamster durch die zunehmende Zersiedelung der Landschaft und die intensive Feldbewirtschaftung seiner Lebensräume beraubt. Dazu war der Nager, auf dessen Speiseplan nebst Insekten und Würmern auch Getreide, Gemüse und Grünzeug stehen, bei den Bauern als Ernteschädling verhasst, und die Kürschner begehrten sein Fell. So wurden allein in Deutschland Jahr für Jahr Abertausende, ja Millionen von Feldhamstern vergiftet und vergast. Es gab Fangprämien. Im Bezirk Halle in der ehemaligen DDR registrierte man im Jahr 1957 insgesamt 1 305 657 Felle von Feldhamstern.
(Foto: Manfred Sattler)
Ohne Schutz ausgestorben
Mit dem wachsenden Umweltbewusstsein der Bevölkerung änderte sich auch langsam die Einstellung gegenüber dem Feldhamster. «Und es wurde immer klarer, dass es bald keinen einzigen Feldhamster mehr in Westeuropa geben würde, wenn man ihn nicht endlich unter Schutz stellte», sagt Tobias Erik Reiners, Feldhamsterexperte und -schützer aus Deutschland. Der Startschuss für das europäische Feldhamsterschutzkonzept sei Ende der 1990er-Jahre in den Niederlanden gefallen, indem man mit den letzten dort noch auffindbaren Feldhamstern ein Zuchtprogramm begonnen habe. Seit 2002 die ersten Zuchttiere in die Freiheit gesetzt wurden, haben die Feldhamsterbaue in Holland zwar wieder etwas zugenommen, aber in bescheidenem Mass.
Andernorts sieht es ähnlich aus: Im Elsass zum Beispiel, der französischen Heimat des «Grand hamster d’Alsace», schrumpften die Bestände ebenfalls dramatisch. Trotz eines 2009 von der EU verordneten, 1,5 Millionen teuren Aktionsplans zum Schutz des Feldhamsters gibt es dort nur noch ein paar Hundert Exemplare, einst waren es Zehntausende. Gemäss den Wissenschaftlern, die das elsässische Wiederansiedlungsprogramm begleiten, müssten es etwa dreimal so viele wie derzeit sein, um das Überleben langfristig zu sichern. Ernüchternd ist das Fazit auch in Deutschland, wo in verschiedenen Bundesländern Programme zum Schutz des Feldhamsters laufen.
Kinderstube: Wenn die Jungen rund zwanzig Tage alt sind, müssen sie ohne Mutter klarkommen. (Foto: Manfred Sattler)
Schweizer Böden nicht ideal
So erhalten beispielsweise Bauern eine Entschädigung, wenn sie auf ihren Äckern einen Streifen den Hamstern überlassen respektive dort erst abernten, wenn der Hamster im Winterschlaf ist. Dadurch bieten sie ihm sowohl Nahrung als auch Deckung vor Greifvögeln, Füchsen, Mardern usw. Diplombiologe Reiners, Mitglied der deutschen «Arbeitsgemeinschaft Feldhamsterschutz», sagt: «Wo wir intensiv Schutz betreiben, konnten sich die Hamster einigermassen halten. Aber wir sind nicht mal ansatzweise bei den Zahlen, die wir früher hatten.» Er nennt als Beispiel Hessen, wo der Bestand von rund vierzig Populationen im Jahr 2001 auf mittlerweile fünfzehn gesunken sei. «Jedes Jahr stirbt eine aus.»
Und wie steht es in der Schweiz? Da sei der Feldhamster ganz ausgestorben; früher habe es in der Region Basel noch Vorkommen gegeben, heisst es oft. Doch dafür gibt es laut Auskunft des Schweizerischen Zentrums für die Kartografie der Fauna (SZKF/CSCF) keinerlei Belege. Nennenswerte Feldhamstervorkommen werde es in der Schweiz kaum gegeben haben, meint auch Experte Reiners. «Die Feldhamster leben in Schwarzerde oder Lössböden, die es in der Schweiz nicht oder fast nicht gibt.» Diese Böden seien ideal für sie, weil gut durchgrabbar, stabil, luftdurchlässig sowie tiefgründig. «Feldhamster graben sehr tief, sie legen ihre Baue bis zu zwei Meter unter der Erdoberfläche an.»
Kurzes Leben
Feldhamster sind Einzelgänger. «Niemals», sagt Reiners, «würde ein Hamster sein Futter mit einem anderen teilen, jeder baut sich seine eigene Wohnung und legt sich seine eigenen Vorräte an.» Einzig aus fortpflanzungstechnischen Gründen würden Feldhamster nah beieinander wohnen. «So können die Männchen die Baue auf der Suche nach paarungsbereiten Weibchen schnell ablaufen und markieren.» Sind sie fündig geworden, statten sie den Weibchen für den Paarungsakt einen kurzen Besuch ab und verschwinden wieder. Ein Feldhamsterweibchen wirft in der Regel zwei Mal pro Jahr und zieht seine Jungen – zwischen neun und zwölf – allein auf. Das dauert etwa zwanzig Tage, dann verlässt das Muttertier den Wurfbau und gräbt sich in der Nähe eine neue Wohnung.
Ein Feldhamsterbau ist ordentlich nach Funktionen aufgeteilt: In Wohnbereich, Kotplatz und Vorratskammer. In Letzterer bunkern die Tiere ihren Wintervorrat. Denn sie schlafen nicht den ganzen Winter durch; zwischendurch wachen sie auf, um zu fressen. Insgesamt benötigen sie für die Zeit ihres Winterschlafs von Ende August bis Ende März zwei bis vier Kilogramm Futter. Tiere, die nicht so viel Vorrat sammeln konnten, erleben den Frühling nicht mehr. Aber auch diejenigen, die es bis dahin schaffen, werden nicht viel älter: «Nur wenige können ein zweites Mal überwintern, die meisten sterben vorher», sagt Reiners. Viele sind wegen fehlender Deckung auf den Feldern leichte Beute für ihre natürlichen Feinde, manche fallen aber auch den Erntemaschinen und dem Strassenverkehr zum Opfer. Besonders hoch sind die Verluste unter den Jungtieren.
Solange sich aber der Nachwuchs der Feldhamster nicht durchsetzen kann, ist es fraglich, ob sich die Tierart auch nur ansatzweise je davon erholen kann, was man ihr in der Vergangenheit angetan hat.
Urbane Feldhamster
Während an vielen Orten auf dem Land die Feldhamster gänzlich verschwunden sind, gibt es in der Stadt Wien teilweise recht stattliche Populationen. «In manchen Gegenden leben bis zu zwanzig Tiere pro Hektar, in anderen kommen sie nur vereinzelt vor», sagt Carina Siutz, Lehrbeauftragte am Departement für Verhaltensbiologie der Universität Wien und Forscherin über die einheimischen Stadthamster. Die Tiere leben in Parks und in Grünanlagen von Wohnsiedlungen, wo sie offenbar weniger natürlichen Feinden ausgesetzt sind als auf dem Land. Und Nahrung scheinen sie genügend zu finden: «Die Hamster in der Stadt tragen hauptsächlich Grünfutter wie Löwenzahn und Klee in ihre Baue ein», sagt Siutz. Wahrscheinlich, weil das am häufigsten vorhanden sei. «Aber sie finden auch immer wieder Samen, Nüsse und Beeren, die sich gut lagern lassen.» Man geht davon aus, dass es sich bei den Wiener Feldhamstern um die Nachkommen von Tieren handelt, die am früheren Stadtrand auf den Feldern lebten und nun quasi von der Stadt eingeholt wurden.
Tags: Tierreport 3/17, Feldhamster