Zirkus von vorgestern
Zirkus von vorgestern
2015 traten zum letzten Mal Elefanten in einem Schweizer Zirkus auf. Seit den Neunzigerjahren passé sind Menschenaffen und Seelöwen in der Manege. Doch die Zirkusse tun sich schwer, auf die Präsentation der Besuchermagneten schlechthin – Grosskatzen – zu verzichten. 2016 sind gleich zwei Unternehmen mit Löwen auf Tournee. Den Besucherschwund der Zirkusse werden aber auch sie nicht aufhalten können!
Sara Wehrli, Zoologin, STS-Fachstelle Wildtiere
Oliver Skreinig, Direktor des Circus Royal, in den Medien: «Artgerecht kann man ein Wildtier nie halten – man kann ihm nur ein würdiges Leben bieten.» Dem kann der STS nur beipflichten. Doch warum engagiert Royal dann wider besseres Wissen erneut eine Grosskatzendressur? Derzeit ist der Zirkus mit sieben Löwinnen auf Tournee – und kommt dabei dem Circus Gasser-Olympia ins Gehege, der mit fünf Löwen unterwegs ist. Ende April gastierten die Royal-Löwen in Basel, die GO-Löwen nur neun Kilometer entfernt in Arlesheim! Die Zirkusse der Gasser-Brüder graben sich gegenseitig das Wasser ab.
Spiessrutenlauf in der Manege
Beide Zirkusse halten die Löwen gemäss den Mindestforderungen der Tierschutzverordnung, wie Inspektionen des STS aufzeigten: Royal bietet ihnen zwei Gehege mit Liegeplattformen sowie drei Transportwagen. GO stellt seinen Tieren ebenfalls ein Gehege und eingestreute Liegebereiche zur Verfügung. Die Tiere machten soweit einen guten Eindruck und zeigten keine Verhaltensstörungen. Trotzdem bewegen sich die Zirkusbedingungen bei Grosskatzen zwangsläufig am Rand der Legalität. Zirkussen ist gemäss Artikel 95 der Tierschutzverordnung zudem erlaubt, die Mindestmasse um bis zu dreissig Prozent zu unterschreiten! Die Zirkusse jedoch behaupten, das Leben ihrer Tiere sei interessanter als im Zoo; eine Studie beweise sogar, dass die Löwen durch Transporte und Auftritte nicht belastet seien.
Aus Sicht des STS stellen sich beim Mitführen von Grosskatzen auf Tournee allerdings erhebliche Tierschutzprobleme. Da Löwen nicht domestiziert sind, reagieren sie auf Menschen mit Flucht oder Verteidigung. In der Manege kitzelt der Dompteur ständig an der Individualdistanz – die Tiere reagieren mit Ducken, Fauchen und Tatzenhieben. Für das Publikum sieht das spektakulär aus. Meist ist auch nur ein einziges Tier handzahm, sodass nur mit ihm «gearbeitet» werden kann – die übrigen Löwen sind Kulisse. Auftritte haben für sie den Charakter eines Spiessrutenlaufs, gefordert werden sie kaum: abgesehen von ein paar Hopsern und Rollen am Boden sitzen sie auf Podesten und drehenden Glitzerkugeln.
Unterforderter König der Tiere
Ortswechsel tragen zwar zu Abwechslung bei – bei territorialen Tieren aber auch zu Beunruhigung! Löwen markieren ihr Revier, sie überwachen die Umgebung von erhöhten Liegeplätzen aus. In der Natur legen sie Kilometer im Revier zurück, haben Scharmützel mit Hyänen oder Rivalen. Natürlich liegen auch wilde Löwen auf der faulen Haut – doch gemäss einer ethologischen Studie (Mason & Clubb, 2003) im Magazin Nature neigen unter anderem gerade Löwen in Gefangenschaft besonders zu Verhaltensstörungen. Die Tiere sehen, was um sie vorgeht, können ihre Neugier jedoch hinter Gittern kaum befriedigen. Ständig vorhandene Spielzeuge wie Holzblöcke oder Bälle verlieren bald ihre Anziehungskraft. Nicht Stress, sondern Unterforderung sowie nicht artgemässe Umgebung dürften bei Zirkuslöwen das Wohlbefinden beeinträchtigen. Im Zoo haben Löwen die Möglichkeit, Territorialität auszuleben (Nachbargehege, Topografie), Futter zu suchen und dieses physisch zu erlangen. Ein weiteres Problem im Zirkus ist, dass Tiere oft separiert werden und Stunden im engen Transportwagen verbringen – ein nicht gesetzeskonformer Zustand, den STS-MitarbeiterInnen auch bei den Löwen des Circus GO antrafen!
Schatten ihrer selbst
Löwen im Zirkus sind ein Schatten ihrer selbst: nicht domestiziert, um problemlos mit Menschen zusammenzuleben, doch auch nicht mehr fähig, in freier Natur zu überleben, existieren sie zwischen Stuhl und Bank. Das Argument, Zirkusse dienten dem Erhalt von seltenen Arten, ist scheinheilig. Bei Zirkuslöwen handelt es sich um das Resultat von Inzucht und wahlloser Kreuzung – Zuchtprogramme haben kein Interesse an ihnen, abgesehen davon, dass eine Wiederansiedlung in der Natur unmöglich ist! Daher arbeiten wissenschaftlich geführte Zoos auch nirgendwo mit Zirkussen zusammen. Das Bild, das Zirkusse von den Königen der Savanne vermitteln, ist in unserer Zeit beschämend, geht es doch nur um das Spektakel des Raubtierbändigens!
Was passiert mit ausgedienten Zirkuslöwen? Mit Nachwuchs, wenn dieser weder in Zoo noch Zirkus ein Daheim findet? Viele EU-Länder haben Tierverbote für Zirkusse eingeführt – die Schweiz hinkt hinterher. Zirkusse, die Grosskatzen züchten, verschärfen die Problematik überzähliger Tiere. Einen solchen Fall erlebt die Schweiz derzeit mit dem Ex-Dompteur René Strickler. Weil bei der Schliessung seines Parks die 18 Grosskatzen nicht vermittelt werden können, müssen sie wohl alle eingeschläfert werden!
Schweiz als Schlusslicht
Löwen im Zirkus sind Vergangenheit – an welcher einige Schweizer Zirkusse leider zuungunsten der Tiere noch festklammern. Eine 2015 von Nationalrätin Isabelle Chevalley (GLP/VD) eingereichte Motion fordert deshalb die Listung von Tierarten, die für Zirkusse verboten sein sollen. In seiner abschlägigen Antwort hebt der Bundesrat das Tierschutzgesetz hervor. Solange im Zirkus aber die Zwingerhaltung von Löwen, die Unterschreitung der für Zoos gültigen Standards mit Artikel 95 der Tierschutzverordnung, sowie die entwürdigende Zurschaustellung von Grosskatzen in der Manege erlaubt sind, kann von ernst gemeintem Zirkustierschutz keine Rede sein! Der STS wird sich daher konsequent für die Annahme der Motion Chevalley durch das Parlament einsetzen.
Tags: Tierreport 2/16