Schattenseiten eines Trends
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Früher verächtlich als «Kühe des kleinen Mannes» bezeichnet, erfreuen sich Ziegen heute wieder einer hohen Wertschätzung. Denn insbesondere Ziegenkäse liegt im Trend. Grossverteiler bieten mittlerweile ein gutes Dutzend verschiedener Sorten an. Davon stellen Schweizer Bauern rund tausend Tonnen her, dazu kommt eine zusätzliche, beträchtliche Menge Importkäse. Wenn es um das Leben der Ziegen geht, ist allerdings Käse nicht gleich Käse. Denn die EU kennt keine konkrete, verbindliche Tierschutzrichtlinie für Ziegen, und die Schweizer Tierschutzvorschriften sind extrem large.
Dr. sc. nat. Hansuli Huber, STS-Geschäftsführer Fachbereich, Beratungsstelle für artgerechte Nutztierhaltung
Ziegen sind bewegungsfreudige, höchst intelligente Herdentiere, die gerne erkunden und klettern. Kein Wunder, gehört doch auch der Steinbock zur Gattung der Ziegen. Er lässt sich übrigens problemlos mit Hausziegen verpaaren – im Naturkundemuseum Chur findet sich ein Exemplar einer solchen Kreuzung. Leider können Ziegen auch in der Schweiz ihre Bedürfnisse oft nicht ausleben. Die Tierschutzverordnung lässt beispielsweise die Anbindehaltung zu, wobei es zulässig ist, Ziegen permanent zwei Wochen lang an der Krippe festzubinden. Auch die lebenslange Stallhaltung bei einem minimalem Platzangebot von lediglich 1,7 Quadratmetern für eine erwachsene, 70 Kilogramm schwere Ziege ist legal! Neben diesen tierschutzwidrigen Aufstallungsformen stellt das zunehmende Enthornen von Ziegen ein weiteres gravierendes Problem dar. Zwar konnte der STS durchsetzen, dass das Enthornen von Kälbern und Zicklein heute nur mittels Anästhesie und Schmerzausschaltung erfolgen darf. Doch wegen der dünnen Schädeldecke junger Ziegen und der Tatsache, dass beim Hornausbrennen rund ein Drittel des Schädeldaches betroffen ist, entstehen oft offene Wunden und Infektionen, die bis zum Tod führen können. Aus Sicht des STS ist das aktuelle Enthornen von Ziegen reine Tierquälerei und zudem unnötig. Denn nicht nur wissenschaftliche Studien, sondern auch viele Praktiker zeigen, dass Laufstall- und Weidehaltung von behornten Ziegen problemlos möglich sind. Aus diesen Gründen ist der STS beim zuständigen Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV vorstellig geworden. Ein Bericht des BLV zum weiteren Vorgehen ist auf Ende 2017 zu erwarten.
Das Ausland ist kein Vorbild
Während die Anbindehaltung insbesondere in den Wintermonaten in Kleinbetrieben verbreitet ist, findet sich die Tendenz zur reinen Stallhaltung hauptsächlich in Grossbetrieben. Wo diese Entwicklung hinführen könnte, zeigt ein Blick ins Ausland. Hier verzichten die meisten professionellen Ziegenmilchproduzenten bereits auf Auslauf und Weide. Die Milch wird von Ziegen in ganzjähriger Stallhaltung gewonnen, die kein frisches Gras mehr zupfen dürfen, dafür aber mit Kraftfutter vollgepumpt werden. Die Buchten sind beengt und völlig unstrukturiert, ohne Ausweich- und Klettermöglichkeiten, ein trostloses, langweiliges Leben erwartet die Ziegen hier. Durch die abverlangten, extrem hohen Milchleistungen sinkt die Lebenserwartung. Die Milchziege wird zum Wegwerfartikel. Diese Grossbetriebe können auch nichts mehr mit den männlichen Zicklein anfangen: Frisch geboren und völlig wertlos! So werden sie raschmöglichst entsorgt. Da die EU zudem keine Ziegenschutzvorschriften erlassen hat, dürften in den dortigen Ziegenställen – im Unterschied zur Schweiz – auch keine Tierschutzkontrollen stattfinden. Es ist zu hoffen, dass der Schweizer Milchkonzern Emmi, welcher diverse Ziegenmilchfirmen im Ausland aufgekauft hat, dort wenigstens den Schweizer Haltungsstandard durchsetzt. So oder so empfiehlt der STS aber, möglichst auf ausländischen Ziegenkäse zu verzichten!
Der STS setzt sich dafür ein, dass hierzulande die Stallhaft von Ziegen zugunsten der Weide- und Auslaufhaltung abgeschafft wird. © ISTOCKPHOTO
Forderungen des STS
Die Ziege ist ein Raufutterverzehrer, der im Grasland Schweiz mit dem vielen nicht ackerbaufähigen Land Gras in hochwertige Milch verwandeln kann. Der STS setzt sich deshalb dafür ein, dass hierzulande die Stallhaft von Ziegen zugunsten der Weide- und Auslaufhaltung abgeschafft wird. Ziegen soll ein geräumiger und strukturierter Stall mit Auslauf- und Klettermöglichkeiten zur Verfügung stehen, und sie sollen Gras und Kräuter statt Kraftfutter zu Milch veredeln. Das Ziel soll ein langes Leben bei guter Gesundheit sein, keine Höchstleistung. Das gesundheitsschädigende Enthornen von Ziegen ist zu beenden. Und da auch hierzulande ausser an Ostern die Nachfrage nach Gitzifleisch gering ist, soll vermehrt ein Trumpf der Ziege ausgespielt werden: Im Gegensatz zur Kuh, die praktisch jährlich ein Kalb auf die Welt bringen muss, damit Milch im Euter produziert wird, können Ziegen nämlich oftmals über zwei bis gar drei Jahre Milch geben, ohne ein Junges auf die Welt bringen zu müssen. So kann der Anfall von männlichen Zicklein, die niemand will und die deshalb als Babys entsorgt werden müssen, stark reduziert werden.
Zahlen und Fakten
7000 Halter besitzen 83 000 Ziegen, also durchschnittlich 12 Ziegen pro Betrieb. Zum Vergleich: 1985 hielten noch 10 000 Bauern 53 000 Ziegen, also 5 Ziegen pro Betrieb.
Heute werden 23 Millionen Liter Ziegenmilch im Jahr erzeugt, 50 Prozent mehr als im Jahr 2000. Zum Vergleich: Die 600 000 Schweizer Kühe liefern jährlich über 4 Milliarden Liter Milch.
Der Ziegenmilch-Produzentenpreis beträgt CHF 1.40, während ein Bauer für Kuhmilch im Durchschnitt nur mehr 50 Rappen erhält.
Drei Viertel der Ziegen haben regelmässigen Weidegang sowie Auslauf im Winter, aber nur ein Drittel lebt in Ställen, in denen sie sich frei bewegen können.
Die weissen Saanenziegen geben im Jahr 800 bis 900 Liter Milch, die Toggenburger Ziegen gegen 800 Liter und die Pfauenziegen etwa 500 Liter. Hochleistungsziegen bringen es
im Ausland mit widernatürlichem, extrem hohem Kraftfuttereinsatz gar auf 1500 Liter, der Spitzenwert soll bei fast 3000 Litern liegen! Zum Vergleich: Eine durchschnittliche Schweizer Kuh, die 10-mal schwerer ist als eine Ziege, liefert im Durchschnitt 6000 bis 7000 Liter Milch im Jahr.
Tags: Tierreport 3/17, Ziegenmilch