Ausgebeutete Milchziegen
Die Milchziegen sehen zeit ihres traurigen Lebens weder eine Wiese, noch können sie je ihr natürliches Kletterbedürfnis ausleben. © Adobe Stock
Produkte aus Ziegen- und Schafmilch sind bei gesundheitsbewussten Konsumentinnen und Konsumenten beliebt. Doch für die Tiere bedeutet das derzeit nichts Gutes. Der STS will dies ändern und fordert wirksame Massnahmen zugunsten des Tierwohls.
Monika Zech
Das Fleisch der Ziege gilt als ausgesprochen gesundes Fleisch: Es enthält viel hochwertiges Eiweiss, Mineralstoffe und Vitamine, aber wenig Cholesterin und – was heutzutage ein sehr wichtiges Kriterium ist – wenig Kalorien. Reich an wichtigen Nährstoffen ist auch die Milch der Ziege, zudem soll sie für Menschen mit einer Laktoseintoleranz verträglicher sein als Kuhmilch. Manche der in Foren und Medien allgegenwärtigen Ernährungsgurus jubeln die Ziegenmilch wegen ihrer gesunden Eigenschaften sogar in die Kategorie «Superfood» hoch. Die Vermarktung funktioniert: Die Nachfrage nach Ziegenmilchprodukten steigt seit einigen Jahren stetig an. Heute wird etwa doppelt so viel Ziegenmilch produziert wie noch vor zwanzig Jahren. Ähnlich läuft es mit der Schafmilch, auch diese passt zum aktuellen Ernährungstrend, und dementsprechend mehr wird gemolken. Das hat verheerende Folgen für die Tiere.
Zicklein sind für Fleischmarkt «wertlos»
Denn es ist logischerweise wie bei allen Säugetieren: ohne Nachwuchs gibt es keine Milch. Die Milchziegen und -schafe müssen also regelmässig trächtig sein. Doch weil deren Milch für die Menschen bestimmt ist, werden die Tierbabys in der gängigen Praxis kurz nach der Geburt von ihren Müttern getrennt. Und dann: wohin mit den Zicklein und Lämmlein? Sie werden geschlachtet – erst recht, wenn sie männlichen Geschlechts und damit unbrauchbar für die Milchproduktion sind. Lammfleisch ist zwar in den letzten Jahren beliebter geworden, doch das allermeiste wird, weil es billiger ist, aus dem Ausland importiert. Und was Ziegenfleisch betrifft, ist die Nachfrage nahezu bedeutungslos, obwohl es ernährungstechnisch wertvoll ist. Zum Vergleich: In der Schweiz liegt der jährliche Pro-Kopf-Konsum von Fleisch bei gut fünfzig Kilogramm, gerade mal siebzig Gramm davon ist Ziegenfleisch, und davon stammen erst noch 38 Prozent aus dem Ausland. Ausser in der Osterzeit, in der mancherorts ein «Gitzibraten» zum traditionellen Menü gehört, besteht bei uns kaum Interesse an Ziegenfleisch. Das bedeutet, ganz viele der Lämmer und erst recht der Zicklein, die zwecks Milchgewinnung zur Welt kommen müssen, gelten für den Fleischmarkt als «wertlos». Und dementsprechend werden sie auch behandelt.
Ganz viele der Lämmer und erst recht der Zicklein, die zwecks Milchgewinnung zur Welt kommen müssen, gelten für den Fleischmarkt als «wertlos». Und dementsprechend werden sie auch behandelt: «Wie ein Abfallprodukt».
«Wie ein Abfallprodukt», sagt Cesare Sciarra, Leiter des STS-Kompetenzzentrums Nutztiere. Die Zicklein würden schon in den ersten Lebenstagen an Händler verkauft, die sie dann bis zur Schlachtung in irgendwelchen Mastbetrieben unterbringen. «Aber weder weiss man genau, wo sie landen, noch wie sie versorgt werden. Sterben sie einfach oder werden sie getötet?» Klar ist für Sciarra einzig: «Die sechs bis acht Wochen Lebenszeit dieser Gitzi sind eine Blackbox.» Der zum Kompetenzzentrum gehörige Kontrolldienst, der regelmässig auch Schlachthöfe überprüft, musste immer wieder feststellen, dass dort gesundheitlich angeschlagene und ausgehungerte Zicklein angeliefert wurden. Aufgrund von STS-Recherchen habe man die berechtigte Vermutung, sagt Sciarra, dass manche Händler sie von einem Betrieb zum anderen verschieben, sodass viele dieser Tiere in ihrem kurzen Leben schon etliche Stunden in Transportern verbracht haben. Zwar dürfen Tiertransporte gemäss Schweizer Tierschutzverordnung nicht länger als acht Stunden dauern, weil aber bis anhin Ziegen und Schafe nicht in der Tierverkehrsdatenbank registriert werden mussten, «lassen sich die verschlungenen Wege, die die kleinen Tiere bereits hinter sich haben, nur erahnen.»
Bauer trägt Verantwortung für Tiere
Diese Gesetzeslücke zu schliessen, forderte der STS deshalb schon lange, und seit dem 1. Januar 2020 gilt nun endlich die Registrationspflicht auch für Ziegen und Schafe. Wie stark dies die Situation der Jungtiere verbessert, wird sich aber erst mit der Zeit zeigen. Man werde die Situation genau im Auge behalten, sagt Sciarra. Auf jeden Fall brauche es aber noch weitere Massnahmen. Cesare Sciarra nennt zum einen die zwingende Einführung von Mindeststandards für Haltung, Fütterung und Schlachtung. Zum anderen sei für die Gesundheit der Jungtiere ganz wichtig, dass sie in den ersten Lebenswochen von ihren Müttern aufgezogen werden oder mindestens auf dem Geburtsbetrieb verbleiben können. «Der Bauer trägt meines Erachtens die Verantwortung für seine Tiere und sollte entsprechend um ihr Wohlergehen bemüht sein. Dass das durchaus vereinbar ist mit Wirtschaftlichkeit, beweisen einige uns bekannte positive Beispiele.»
Aber auch die Konsumentinnen und Konsumenten sind in der Pflicht: Denn bei der Wahl ihrer Lebensmittel sollte ihnen nicht nur ihre eigene Gesundheit wichtig sein, sondern ebenso das Wohlergehen der Tiere, denen sie diese Lebensmittel zu verdanken haben. Was die Ziegen und Schafe betrifft, liegt derzeit noch sehr vieles im Argen. Cesare Sciarra antwortet denn auch auf die Frage, ob es bei diesen Milchprodukten kein Label gebe, auf das man setzen könne: «So, wie die Situation heute ist – zumindest, was den Umgang mit Jungtieren betrifft –, kann ich leider keines empfehlen.»
Sehenswert: Video «Zicklein und Lämmer»
Massenhaltung im Ausland
Der grösste Anteil an Ziegenkäse in unseren Kühlregalen stammt aus dem Ausland, in der Regel hergestellt auf industrielle Weise in Massentierhaltung. Bilder aus ausländischen Grossbetrieben zur Ziegenmilchgewinnung zeigen, wie die Ziegen dicht nebeneinander aufgereiht, ohne Möglichkeiten, sich zu bewegen, in Metallgattern stehen. Damit sie das ganze Jahr über befruchtet und gemolken werden können, hält man die Tiere bei künstlichem Licht. Dadurch wird der natürliche Reproduktionszyklus der Ziegen verändert, sie spüren die Jahreszeiten nicht mehr. Normalerweise würden sie ihre Jungen jeweils im Februar gebären, dann bis Oktober Milch abgeben und in den Wintermonaten trocken bleiben. In den Grossbetrieben wird der männliche Nachwuchs häufig gleich nach der Geburt getötet und entsorgt – und gemäss einem Bericht der deutschen Zeitung «Welt» zu Hundefutter verarbeitet. Die Milchziegen sehen zeit ihres traurigen Lebens weder eine Wiese, noch können sie je ihr natürliches Kletterbedürfnis ausleben.
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