Gewissenlose Schnäppchenjagd und tatenlose Politik
Was Konsumenten gerne vergessen: die EU-Minimalstandards in der Tierhaltung sind tierschützerisch gesehen absolut ungenügend. (Foto: Istock)Der Einkaufstourismus im grenznahen Ausland verharrt auf hohem Niveau. Insbesondere Schuhe und Kleider, aber auch Lebensmittel – darunter Fleisch, Eier und Käse – sind beliebte Schnäppchen vom Stundenausflug ennet der Grenze. An die unwürdige Tierhaltung verschwenden viele Schweizer hingegen keinen Gedanken. Politik und Detailhandel jammern zwar über den Kaufkraftabfluss, schauen aber tatenlos zu.
Dr. sc. nat. Hansuli Huber, STS-Geschäftsführer Fachbereich, Beratungsstelle für artgerechte Nutztierhaltung
Für über elf Milliarden Franken kauften Schweizer 2015 im benachbarten Ausland ein. Letztes Jahr stabilisierten sich die grenznahen Einkaufsfahrten auf diesem hohem Niveau. Das sind mehr als zehn Prozent des gesamten Umsatzes des Schweizer Detailhandels. Einerseits locken ein Ausflug sowie tiefere Preise als bei uns. Andererseits ist der Franken gegenüber dem Euro so stark wie nie zuvor, und Schweizer Käufer profitieren von der Rückerstattung der hohen Mehrwertsteuer, welche in Österreich, Italien und Frankreich bei rund 20 Prozent, in Deutschland bei Bekleidung um 16 Prozent und bei Lebensmitteln um 6 Prozent liegt. So kommt es zur paradoxen Situation, dass Schweizer in Konstanz oder Weil am Rhein dasselbe Produkt günstiger einkaufen als die Ortsansässigen!
Schweizer Detailhändler und Politiker jammern zwar im Chor über den hohen Kaufkraftabfluss. Doch niemand wagt, das heisse Eisen des Einkaufstourismus anzugehen. So gab Coop-Chef Joos Sutter zu verstehen, dass er die Auslandshopper nicht verärgern wolle, habe es darunter doch auch Coop-Kunden. Die Politik hätte es in der Hand, die fragwürdige Ungleichbehandlung von EU- und Schweizer Staatsbürgern beim Einkaufen zu beenden, indem die Mehrwertsteuerrückerstattung für Schweizer abgeschafft würde.
Unwürdige Tierhaltung
Mit Abstand das beliebteste Lebensmittel im Einkaufstourismus ist Fleisch. Schätzungen besagen, dass Schweizer pro Kopf und Jahr zwischen acht und zehn Kilogramm Frischfleisch und Wurstwaren im Ausland kaufen. Was Konsumenten dabei gerne vergessen: die EU-Minimalstandards in der Tierhaltung sind tierschützerisch gesehen absolut ungenügend.
So lässt die EU teilweise mehrtägige Schlachttiertransporte zu, während die Fahrtzeit in der Schweiz auf sechs Stunden limitiert ist. Auch das Kastrieren von Ferkeln und männlichen Kälbern ohne Schmerzausschaltung ist in der EU immer noch legal, ebenso die Käfighaltung von Legehennen, das Einsperren von säugenden Sauen im Kastenstand oder das dauernde Anbinden von Rindvieh. Ein EU-Geflügelmäster darf im Stall fast doppelt so viele Tiere einpferchen wie sein Schweizer Kollege. Besonders krass sind die Unterschiede bei den Bestandesgrössen. Ein durchschnittlicher Schweizer Schweinemäster hält knapp 200 Tiere. In Holland sind es hingegen 2000, und in Dänemark gar 3000! Demgegenüber sind die Vorschriften zum Schlachten grundsätzlich vergleichbar. Mit einer gewichtigen Ausnahme: Verschiedene Länder, beispielsweise Frankreich und Belgien, lassen aus religiösen Gründen das Töten von Kälbern, Rindern, Schafen und Ziegen mittels Halsschnitt ohne vorherige Betäubung zu. Ein Teil des Fleisches der so getöteten Tiere geht in die konventionellen Kanäle und kann beim Metzger nicht erkannt werden, da keine Deklarationspflicht besteht.
Tiertransport: In der Schweiz sind maximal sechs Stunden erlaubt, in der EU sind Tiertransporte nicht beschränkt; 40- bis 60-stündige Fahrten sind keine Seltenheit. (© colourbox)Wer trotzdem im Ausland einkaufen möchte, soll EU-Bioherkünfte nachfragen. Diese gewährleisten in der Regel einen akzeptablen Tierhaltungsstandard. Wer hingegen bezüglich Tierwohl auf Nummer sicher gehen will, soll Schweizer Labelprodukte kaufen. Und wer auf die Gesundheit schaut, konsumiert tierische Produkte im Mass und setzt auf eine ausgewogene pflanzliche Ernährung.
Schweinezucht: In der EU dürfen säugende Sauen dauernd in Kastenstände gesperrt werden. © Fotolia
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