Neuer Standard für die Hundeausbildung
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Im Hunderecht herrscht ein kantonaler Wirrwarr. Ein nationales Hundehalterbrevet soll nun wenigstens beim Thema Ausbildung wieder Ordnung schaffen – auf freiwilliger Basis.
Simon Hubacher
Seit Jahresbeginn sind die schweizweit vorgeschriebenen Hundehalterkurse (Sachkundenachweis SKN) abgeschafft. Bei 26 Kantonen gibt es derzeit fast gleich viele Hundegesetze und -verordnungen. Besitzen Sie einen Deutschen Schäferhund und halten sich im Jahr mehr als dreissig Tage im Kanton Tessin auf, zum Beispiel im eigenen Ferienhaus? Dann müssen Sie Ihren Vierbeiner anmelden und eine Haltebewilligung einholen. Denn der Schäfer steht auf einer Liste von insgesamt dreissig Hunden, die in der Südschweiz bewilligungspflichtig sind. Oder zügeln Sie mit Ihrem Labrador Retriever in den Thurgau? Weil ein Labrador ausgewachsen mehr als fünfzehn Kilogramm wiegt, müssen Sie innerhalb eines Jahres nach Anschaffung des Tieres einen Hundeerziehungskurs besuchen. Dabei gilt: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Wer sich nicht an die kantonalen Regeln hält, dem drohen als fehlbarer Hundehalter saftige Bussen.
Grosse kantonale Unterschiede
Nur in drei Kantonen besteht trotz SKN-Abschaffung weiterhin eine allgemeine Ausbildungspflicht für Hundehalter, die unterschiedlich ausgestaltet ist. Drei Kantone kennen ein Verbot für «gefährliche» Hunde und führen entsprechende Rassenlisten. In zehn Kantonen sind Listenhunde bewilligungspflichtig, oftmals mit einer Ausbildungspflicht verbunden. Und zwölf Kantone kennen weder eine allgemeine Ausbildungspflicht noch Listenhunde, verlangen aber auf Gemeindeebene Hundesteuern, in Appenzell Ausserrhoden ab dem zweiten Hund in doppelter Höhe. In einzelnen Kantonen sind auch streitbare Massnahmen festgeschrieben, etwa im Kanton Schwyz. Dort heisst es strikt: Läufige Hündinnen sind eingesperrt zu halten. Im Thurgau können Hunde im Rahmen des Schuldbetreibungsrechts eingezogen oder fremdplatziert werden, als Mittel zur Durchsetzung der finanziellen Verpflichtungen des Hundehalters. Das Bundesgericht hat diese Praxis 2008 bestätigt. Und in St. Gallen muss jeder Hund einmal im Jahr tierärztlich untersucht werden. Die Vorschrift stammt aus Zeiten, in denen noch die Tollwut grassierte und soll im Rahmen einer Gesetzesrevision bald abgeschafft werden.
Landesweites Hundegesetz chancenlos
Das nationale Hundekursobligatorium war erst 2008 nach der tödlichen Bissattacke auf den sechsjährigen Süleyman in Oberglatt ZH eingeführt worden und wurde letztes Jahr von National- und Ständerat wieder aufgehoben, gegen den Willen des Bundesrats. Das Parlament stützte sich auf einen Evaluationsbericht der Sachkundenachweise, den das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV im März 2016 publiziert hatte – und bezüglich Hundeausbildung eine gemischte Bilanz zog: Dem Obligatorium könne keine objektive Wirkung anhand von «hard facts» (wie einer Abnahme von Vorfällen oder Verhaltensunterschiede zwischen Personen mit und ohne Kursbesuch) zugeschrieben werden. Vollzug und Qualitätssicherung der Kurse seien nicht optimal. Ein Fünftel der zur Teilnahme verpflichteten Hundehalter besuche die Kurse gar nicht. Mit der SKN-Abschaffung ist ein Vakuum entstanden, erkennt auch Julika Fitzi, Tierärztin und Hundeverantwortliche beim Schweizer Tierschutz STS: «Grundsätzlich würde eine nationale Lösung die Rechtsunsicherheit beenden.» Ein schweizweites Ausbildungsobligatorium steht trotzdem nicht zuoberst auf der Forderungsliste des Tierschutzes, weil der SKN in seiner früheren Ausgestaltung durchaus Mängel aufwies und «weil das derzeit politisch völlig unrealistisch ist», sagt Fitzi. Als «chancenlos» bezeichnet auch Andreas Rüttimann, rechtswissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung für das Tier im Recht (TIR), ein solches Vorhaben: «Bis man wieder über eine landesweite Ausbildungspflicht diskutieren kann, müssen zuerst ein paar Jahre vergehen.»
Neues Hundehalterbrevet setzt auf Freiwilligkeit
Kurspflicht hin oder her, der Schweizer Tierschutz STS empfiehlt vor allem Ersthundehaltern eine fundierte Ausbildung und unterstützt deshalb ein neues Projekt, das Ende August der Öffentlichkeit vorgestellt wurde und im Januar 2018 startet: das Nationale Hundehalterbrevet (NHB), ein Gemeinschaftswerk der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft (SKG), des STS, des BLV, der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) und der Vereinigung der Schweizer Kantonstierärztinnen und Kantonstierärzte (VSKT), unter dem Dach des Verbands Kynologie Ausbildungen Schweiz (VKAS). Das Hundehalterbrevet ist eine landesweit einheitliche, freiwillige Ausbildung mit definierten Lernzielen, die von zertifizierten Anbietern nach ihrem eigenen Vorgehen angeboten wird. Um das Brevet zu erhalten, müssen Theorie- und Praxisteil mit einer Prüfung abgeschlossen werden. Wer die Prüfung auslässt, erhält eine Teilnahmebestätigung.
Lernen mit Hund im Zentrum
Mit dem neuen Nationalen Hundehalterbrevet verfolgen die federführenden Organisationen mehrere Ziele: Hundeschulen in der ganzen Schweiz können nach der SKN-Abschaffung wieder eine einheitliche Ausbildung anbieten, aufgebaut auf ihren individuellen Lernkonzepten. Damit soll die rasche und breite Akzeptanz von Brevetkursen seitens der Ausbilder erreicht werden. Für Hundehalter wird das Brevet zu einem Qualitätslabel, das ihnen bei der Auswahl des Hundetrainers hilft. Und weil es kantonsübergreifend gültig ist, soll es den Kantonen leichterfallen, das Brevet als Ausbildung anzuerkennen, wo eine verlangt wird. «Die Lernziele sind ähnlich wie beim abgeschafften SKN sehr praxisorientiert, aber von erkannten Mängeln der früheren Ausbildung befreit», sagt Andreas Rogger, Geschäftsführer der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft. «Ins Zentrum stellen wir das Thema ‹Lernen mit Hund›, bei dem Halter und Tier mit viel Spass gemeinsame Ziele erreichen sollen.» Dereinst möchte man damit einen ähnlichen Status erlangen, wie es heute beim Reiter- und Fahrerbrevet der Fall ist, das im Pferdesport den Standard setzt und Voraussetzung für die Teilnahme an Veranstaltungen sowie für weiterführende Ausbildungen ist.
Tags: Tierreport 3/17, Hunde, Hundeausbildung