«Viele führen ein trauriges Eselleben»
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Der Schweizer Tierschutz STS liess an einem Online-Infovormittag Expertinnen und Experten zu Gesundheit, Haltung und Fütterung des Esels zu Wort kommen. Dabei wurde klar, dass die sensiblen und anspruchsvollen Tiere oft nicht tiergerecht gehalten werden.
Dr. Ing. Agr. Michael Götz, Agrarjournalist
Der Esel ist eine Tierart, über deren Haltung und Gesundheit die Tierhalterinnen und -halter oft zu wenig informiert sind. «Unser Anliegen ist ein Wissenstransfer in die Praxis», leitet Sandra Schaefler von der Fachstelle Heimtiere und Pferde des Schweizer Tierschutz STS die Tagung ein. Tierärztinnen und -ärzte sowie Veterinärdienste sind wichtige Wissensvermittler, weil sie den direkten Kontakt zu den Tierhalterinnen und -haltern haben.
«Ein Esel, der nicht frisst, ist ein Notfall»
Esel lassen sich oft nicht oder kaum anmerken, dass sie krank sind. Das liege daran, dass sie ihren natürlichen Feinden gegenüber Stärke zeigen müssen, erklärt Lucia Unger, Tierärztin an der ISME-Pferdeklinik der Universität Bern. Um zu erkennen, ob ein Esel krank ist, muss man ihn gut beobachten. Subtile Anzeichen für Krankheit oder Schmerz sind aufgezogene Nüstern, seitlich oder nach hinten gestellte Ohren, eine gesenkte Kopf-Hals-Haltung oder eine Entlastung von Gliedmassen. Als Warnsignale nennt die Eselkennerin Apathie und ein Absondern von der Gruppe. Kranke Esel liegen vermehrt, was häufig auf eine Kolik oder auch auf Hufrehe hindeutet; oder aber sie stehen herum und weigern sich abzuliegen. Sie fressen oft nicht, wobei sie das Maul am Heu oder Stroh haben, dieses aber nicht aufnehmen. Man spricht von Scheinfressen. «Ein Esel, der nicht frisst, ist ein Notfall», betont Unger. Gründe für eine reduzierte Futteraufnahme sind nicht nur Koliken und Schmerzen, sondern auch Zahnprobleme. Diese können sich in abnormen Kaugeräuschen und -bewegungen zeigen, manchmal auch in einseitigem Nasen- und Tränenausfluss. Bei unvollständigem Kauen entstehen manchmal Futterwickel, die auf den Boden fallen, daher der Ausdruck «Wickelkauen». Bei mageren Eseln sollte man auf jeden Fall auch das Gebiss untersuchen.
Häufige Erkrankungen
Hyperlipämie ist eine gefährliche Fettmobilisierung. Diese Stoffwechselstörung tritt vor allem dann auf, wenn ein «fetter» Esel plötzlich nichts mehr frisst. Die Mortalitätsrate kann bis zu achtzig Prozent betragen. Die Störung kommt häufig bei älteren und übergewichtigen Tieren sowie bei Zwergeseln vor.
Koliken entstehen beim Esel häufig als Folge von Darmverstopfungen. Sie treten häufiger bei älteren Eseln und bei Kraftfutterfütterung auf, können aber auch psychisch bedingt sein, wenn zum Beispiel die Betreuungsperson wechselt. Stroh sei beim Esel kein Risikofaktor für Verstopfung, ausser er habe ernste Zahnprobleme, erklärt die Tierärztin.
Die Hufrehe ist eine beim Esel sehr ernst zu nehmende Erkrankung. Sie trete häufig als Folge von Hormonstörungen wie dem Asinen metabolischen Syndrom oder Cushing auf, werde meist spät erkannt, könne starke Schmerzen verursachen und sei ein häufiger Grund für eine Euthanasie. Als weitere ernst zu nehmende Krankheit nennt die Tierärztin Sarkoide. Dies sind Hauttumore, die vor allem im Gesicht, in der Leistengegend und an der Vorhaut auftreten. Hier sollte man gleich den Tierarzt beiziehen und nicht selber «doktern».
«Viele Krankheiten sind haltungsbedingt»
«Der Esel ist kein kleines Pferd», hält Tierarzt und Eselkenner Hanspeter Meier fest. Das zeigt sich schon an seiner Herkunft. Während unsere Hauspferde in den grünen Steppen Asiens domestiziert wurden, stammen die Vorfahren unserer Hausesel vom Afrikanischen Esel ab. Sein Lebensraum sind die rauen und gebirgigen Gebiete Ostafrikas. Esel haben von daher ganz andere Ansprüche an die Ernährung und die Umgebung als Pferde. Die Tiermedizin vernachlässigte den Esel lange Zeit. Denn dieser galt einfach als das Pferd des armen Mannes. Erst in neuerer Zeit gibt es eselspezifische Fachliteratur. «Viele Krankheiten sind haltungsbedingt», stellt Meier fest. Um ihnen vorzubeugen, muss man die Eigenheiten des Esels verstehen, namentlich seinen Stoizismus oder seine «Sturheit» sowie sein Ernährungsverhalten. Die Zucht von Eseln sollte man Fachleuten überlassen.
Esel brauchen Beschäftigung und Bewegung
«Wer Esel hält, sollte täglich deren Hufe kontrollieren», empfiehlt Edith Müller von der Eselmüller Stiftung. Auch sollte man die Hufpflege alle acht bis zehn Wochen durch eine Fachperson ausführen lassen. «Alle sechs Monate genügt nicht», fügt sie an. Denn auf unseren relativ weichen Böden haben die Hufe zu wenig Abrieb. Ein sandiger Trockenplatz mit Hölzern zum Beknabbern bietet den Eseln Bewegung, Beschäftigung und eine angenehme Unterlage zum Liegen. Achtung bei grünen Weiden! Die Esel sollten nicht länger als eine Stunde darauf weiden dürfen, da sie sonst zu viel rohfaserarmes Gras aufnehmen, was die Hufrehe begünstigt.
Müller spricht sich gegen das Anbringen eines Weidemaulkorbs aus, da der Esel beim Fressen mit den Schneidezähnen gegen den Maulkorb drückt. Dies könne eine Deformation der Zähne, eine Entzündung des Zahnfleischs und folglich massive Zahnprobleme zur Folge haben. Auch hindere der Maulkorb die Tiere am Trinken und Gähnen.
«Fast zwei Drittel der Esel in der Schweiz führen ein trauriges Eselleben», schätzt die Eselfreundin Edith Müller, die immer wieder vernachlässigte Tiere aufnimmt. Esel sind billig zu haben und werden oft nicht tiergerecht gehalten. Wer sich mit Eseln abgibt, muss sich bewusst sein, dass diese im Gegensatz zum Pferd nicht «autoritätsgläubig» sind. Das heisst, der Umgang muss noch partnerschaftlicher sein als beim Pferd.
«Esel benötigen einen Artgenossen als Kumpan – ein Pferd oder ein Pony als Sozialpartner genügt nicht».
Nicht allein halten
«Esel werden oft verniedlicht und nicht ernst genommen», stellt Sandra Schaefler vom STS fest. «Die Leute wissen oftmals nicht, was auf sie zukommt.» Eine Eselhaltung ist schnell einmal gesetzeskonform. Gemäss Tierschutzverordnung sollten Esel täglich gerade einmal zwei Stunden in einen Auslauf dürfen und müssen Kontakt zu anderen Equiden haben, wenn man sie nicht «nutzt». Das Einhalten der Tierschutzverordnung sei jedoch noch keine Gewähr für eine tiergerechte Haltung, konstatiert die STS-Vertreterin. So sollten Esel nämlich nicht allein gehalten werden.
«Sie benötigen einen Artgenossen als Kumpan, ein Pferd oder ein Pony als Sozialpartner genügt nicht», so Schaefler. Eine Motion von Nationalrätin Anna Giacometti fordert, die Tierschutzverordnung entsprechend anzupassen.
Eine grüne Weide mag sich für Rinder und in beschränktem Mass auch für Pferde eignen, aber nicht für Esel. Selbst eine zeitliche Beschränkung des Aufenthalts auf einer grünen Weide ist problematisch. Denn Esel, die wissen, dass ihre Weidezeit begrenzt ist, fressen schneller und können ihre Tagesration in weniger als zwei Stunden decken. Dagegen können sie sich ganztags auf kargen Flächen mit Sträuchern, Bäumen oder Totholz aufhalten, ohne sich zu «überfressen». Wo eine solche karge Weide nicht möglich ist, sollte den Eseln ein grosser trockener Auslauf zur Verfügung stehen. Esel, die bei jedem Wetter draussen sind, benötigen einen Unterstand. «Er ist von extremer Wichtigkeit», betont Schaefler, denn das Fell von Eseln ist wenig wasserabweisend, sodass sie bei Regen und Kälte frieren.
Der gute Speiseplan
Esel und Maultiere können schwer verdauliche strukturreiche Futtermittel wie Getreidestroh dank der Mikroflora im Dickdarm besser abbauen als Pferde. Auf diesen Unterschied weist Ingrid Vervuert hin; sie ist Fachtierärztin für Tierernährung und Diätetik an der Universität Leipzig. Stroh als Futtermittel ist beim Esel in der Regel nur dann ein Problem, wenn sich darauf Pilze gebildet haben oder wenn, wie oben erwähnt, der Esel Zahnprobleme hat. Auch Rinden, Äste und Blätter gehören zum Speiseplan von Eseln. Im Sommer genügt gemäss Vervuert für gesunde, etwa zweihundert Kilogramm schwere Esel die Kombination einer parzellierten, kurz gehaltenen Weidefläche und etwa 2,5 Kilogramm Getreidestroh. Dieses Grundfutter sollte mit spurenelementbetonten Mineralstoffen, Salzlecksteinen, Obstzweigen und Gehölz ergänzt werden. Im Winter lässt sich das Gras der Weide mit etwas spät geschnittenem Heu ersetzen und die Strohration erhöhen. Die Ernährungsexpertin empfiehlt, regelmässig den Body Condition Score (BCS) zu erfassen und die Fütterung anzupassen. Zwar ist Übergewicht ein häufiges Problem bei Eseln, aber man sollte dem Esel trotzdem etwas Leckeres anbieten, wenn er nicht fressen möchte. Als Appetizer eignen sich zum Beispiel Pfefferminzsirup, Minze, Ingwer, Karotten und Äpfel. «Den Esel vor lauter Angst vor Hufrehe nicht abnehmen lassen», mahnt Vervuert. Nicht zuletzt ist auch an eine genügende Wasserversorgung zu denken. Zwar haben Esel eine hohe Dursttoleranz, aber der Wasserbedarf ist mit 3,5 bis 9,5 Liter pro hundert Kilogramm Körpergewicht nicht geringer als beim Pferd.
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